Eine Familie im Selbstversuch – Digital Detox: Vier Tage ohne Handy, Tablet, PC und Fernsehen. Horror oder Paradies?
„Du spinnst wohl! Da mache ich nicht mich!“ und „Dann ziehe ich aus zu meiner Freundin, das könnt ihr alleine mache – ohne mich!“ so oder so ähnlichen waren die Kommentare unserer 11- und 13 jährigen Töchter auf den Vorschlag, dass wir über die Osterfeiertage auf sämtliche digitalen Medien verzichten wollen.
Nicht falsch verstehen: Ich liiiiiebe Medien – in aller Art und Weise. Ich bin fasziniert davon, wie einfach wir heute an Informationen kommen können, wie die Lieder sämtlicher Bands & Sänger*innen jederzeit auf Abruf bereit stehen, wie wir uns über Kontinente und Grenzen hinweg vernetzten und austauschen können und wie sogar der größte Teil meines Business „online“ stattfindet. Bei dem Gedanken, was wäre gewesen wenn die Corona-Pandemie vor 30 Jahren stattgefunden hätte, dann stelle ich für mich fest, welches Geschenk die Digitalisierung und der mediale Fortschritt mir persönlich bzw. uns allen gebracht hat.
Doch nicht erst seit dem ersten Elternabend an der Grundschule, in der wir als Eltern Informationen zum Thema „Medienerziehung“ erhalten haben, ist mir bewusst geworden, dass eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit als Eltern ist, wie wir unseren Kindern den richtigen Umgang mit den Medien beibringen können. Ich selbst als Mutter bin kein „Digital Native“. Anno 1998 habe ich zu Beginn meines Studiums meine erste Email-Adresse erhalten und habe mir damals meinen ersten PC gekauft. Mein erstes „Tastenhandy“ legte ich mir während meines Auslandssemesters in Frankreich 2001 zu und das erste eigene Smartphone hielt ich 2014 in meinen Händen. Wie unterschiedlich sieht die Welt unserer Kinder aus, die von Anfang an mit Tablets und Handys aufwachsen und einen viel intuitiveren Umgang damit haben als wir.
Ich behaupte mal, dass unsere beiden Töchter bis vor einem Jahr, also bis vor Corona und dem ersten Lock-down, mit ihrer voreingestellten Bildschirmzeit und den erlaubten Apps und Programmen, ihre Handys so nutzten wie in dem Alter üblich.
Doch was ist bei uns im letzten Jahr passiert – wie wahrscheinlich in vielen anderen Haushalten auch? Das Leben fand mehr und mehr, wenn nicht sogar ausschließlich online statt:
Home-Schooling, Sport, Business, soziale Kontakte – alles lief online! Nicht nur bei den Kindern, auch bei uns Erwachsene ist die Zeit der privaten und der beruflichen Nutzung der Medien & Geräte, bedingt durch 100% Home-Office und eingeschränkter Offline-Möglichkeiten, immer stärker zusammengewachsen. Die Bildschirmzeit von uns Vieren ist in den letzten Monaten ins Unermessliche gestiegen!
Die Idee: DIGITAL DETOX!
Als wieder mal ein Tag (wie einer von vielen im Corona-Alltag) ins Land zog und ich mich dabei ertappte wie ich nachdem ich meinen PC heruntergefahren hatte, auf der Couch vor dem Fernseher lag, um mit einem Auge fernzuschauen und mit dem anderen Instagram & Co zu durchscrollen, dachte ich mir: Mensch, so geht es nicht weiter!
Die Kinder waren sowieso am liebsten nur noch in ihren Zimmern und genossen die ausgeuferte Medienzeit. Obwohl wir seit Corona gefühlt 24 Stunden, 7 Tage die Woche gemeinsam zu Hause waren, kam es mir so vor, als verbachten wir weniger Zeit zusammen als früher.
So kam die Idee auf, einfach mal alle Medien für eine gewisse Zeit abzuschalten, heutzutage auch DIGITAL DETOX oder DIGITALES FASTEN genannt! Prinzipiell für uns keine unbekannte Erfahrung, da wir oft auf unseren Reisen ziemlich „analog“ unterwegs sind. Doch wie wird es sein, wenn wir „den Stecker ziehen“ während wir ganz normal zu Hause sind?
Die 3 Phasen unserer Offline-Zeit
Phase 1: Vorbereitungen
Nachdem die Idee geboren war, für ein paar Tage einfach mal Handys, Tablets, PC und Fernsehen auszuschalten, haben sich direkt die Osterfeiertage angeboten, es tatsächlich auch umzusetzen. Wir beschlossen von Gründonnerstag 23.59 Uhr bis Ostermontag 23.59 Uhr, also 4 Tage, auf sämtliche digitalen Medien zu verzichten.
Die Kinder willigten nach dem ersten Schock und längeren Gesprächen auch ein, es durchzuziehen. Ich werde den Kommentar von den Kindern nie vergessen als es darum ging, dass ihre Freunde jederzeit bei uns anrufen können und andersrum. Kommentar: „Uh, nein, dann geht womöglich ihre Mutter ans Telefon!“ – „Du kannst mit unserem Festnetz auch aufs Handy anrufen“ – „Echt? Geht das?“ – „Ja geht, sogar ganz ohne Kabel.“ -„Hä, Kabel?“ – „Ja, früher hatten die Festnetz-Telefone immer ein Kabel dran. Da hat dann meistens die ganze Familie zugehört, weil das Kabel zu kurz war, um an einen Ort zu kommen, wo niemand was hören konnte.“ – Verständnislose und fassungslose Gesichter der Kinder…..
Bei dem Gedanken daran, für 4 Tage offline zu sein, merkten wir plötzlich, dass wir diese tatsächlich „vorbereiten“ müssen:
- Wichtige Telefonnummern rausschreiben.
- Info an Freunde & Bekannte, dass wir nur noch über Festnetz zu erreichen sind.
- Termine checken. Steht was an in den Tagen?
- Wettervorhersage prüfen
- Online-Sport – Wie können wir teilnehmen?
- Wie können wir in den 4 Tagen Musik hören?
Auf der einen Seite freute ich mich darauf, echt offline zu sein. Auf der anderen Seite hatte ich doch Respekt vor den vier Tagen. Uns allen war klar, dass es niemand einfach fallen wird.
Interessant waren auch die Reaktionen aus dem Bekanntenkreis:
„April, April, das meint ihr nicht ernst“ – „Ähm, doch“ – „Krasse sch…e!“
„Wow, finde ich eine klasse Idee! Doch ich bin mir sicher, dass mein Mann/ meine Frau/ die Kinder nicht mitmachen werden.“
„Cool, ich glaube, ich mache mit!“
Allein diese Reaktionen haben uns gezeigt, wie unüblich es ist einfach mal abzuschalten! Dabei reden wir gerade mal über 4 Tage, keine Wochen…..
Irgendwann war es dann soweit und es hieß: AUSSCHALTEN & WEGPACKEN!
Phase 2: Offenbarungen
Am ersten Tag offline, klingelte tatsächlich um 6 Uhr mein Wecker (also ein richtiger analoger Wecker – prinzipiell haben Handys bei uns Schlafzimmerverbot) denn ich wollte an diesem Karfreitag zum Sonnenaufgang auf den Georgenberg laufen (unser „Hausberg“ in Pfullingen). Dort hatte unsere Gemeinde -wie jedes Jahr- ein großes Holzkreuz aufgebaut, um die Osterzeit besinnlich zu begehen. Meinen mitgebrachten heißen Kaffee und Tee genießend, beobachtete ich das wundervolle Farbspiel der aufgehenden Sonne. Es herrschte eine erhabene Stimmung bei mir und den anderen fünf Personen, die mit mir oben waren. Ich war froh, dass ich kein Handy dabei hatte und damit nicht „gezwungen“ war, alles festzuhalten und einzufangen. Sondern ich saß einfach nur und konnte mich ganz auf das was ich sehe, erlebe und empfinde konzentrieren. Es war wundervoll!
An diesem Tag nahm ich für mich den Impuls mit, die medienfreien Tage für Ruhe und „innere Einkehr“ zu nutzen. So erinnerte ich mich, dass alle drei Bände „Gespräche mit Gott“ von Neale Donald Walsch noch darauf warteten von mir gelesen zu werden. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Daher lag ich viel Zeit auf der Couch und las in dem -für mich sehr inspirierenden- Buch. Die Kinder hatten ihre alten LINA- und SING DEIN SONG-CDs wiederentdeckt und verbrachten tatsächlich die meiste Zeit in trauter Zweisamkeit beim Zeichnen am Schreibtisch und später mit mir beim gemeinsamen Ostereierfärben.
Normalerweise übernimmt Spotify das Musikprogramm bei uns, doch jetzt mussten nicht nur die Kinder, auch Heiko und ich auf CDs zurückgreifen. Wir liehen Paulas CD-Spieler aus und entdeckten in unseren alten CD-Sammlungen, Schätze längst vergangener Tage, die darauf warteten mal wieder gehört zu werden.
Kleinere Herausforderungen gab es doch:
KOCHEN. Sehr häufig schaue ich einfach bei Chefkoch nach, was ich mit all meinen Zutaten alles kochen kann. Doch nicht heute…. Ich blätterte in alten Rezeptbüchern und fand nach ziemlicher Suche auch was Passendes für uns.
ONLINE-BANKING. Ich wollte eigentlich nur kurz kontrollieren ob ich bereits eine Rechnung, die mir in die Hände fiel, überwiesen hatte. Doch logischerweise war „kurz-einloggen-und-nachschauen“ nicht möglich!
HOW-TO. Heiko wollte bei seinem Motorrad eine Einstellung ändern. Analoge Bedienungsanleitung gab es nicht – online gehen und nachlesen bzw. einfach danach googlen, ging in den diesen Tagen auch nicht.
WETTER. Kurz schauen ab wann die Sonne rauskommen soll… Fehlanzeige. Es kommt wies kommt.
UHRZEIT. Ich habe noch eine analoge Armband-Uhr, die ich auch relativ oft trage. Doch Heiko nutzt sehr viel sein Handy, um nach der Uhrzeit zu schauen. Das zeigte sich jetzt als schwierig…
ROUTENPLANUNG. Eigentlich wollte ich nur kurz schauen wie lange es dauert, um in einen gewissen Nationalpark nach Polen zu kommen. Fehlanzeige! Zum Glück sind wir in diesen Tagen auch nicht unterwegs gewesen, wo wir ein Navi hätten gebrauchen können.
Zwischenzeitlich hatten wir eine To-Do-Liste erstellt mit all den Dingen, die wir erledigen wollen wenn wir wieder online sind. Da kommt dann doch was zusammen 🙂
Phase 3: Gewöhnung
Unsere durchschnittliche Schlafenszeit aller Familienmitglieder betrug während unseren offline-Tagen locker mal 10-12 Stunden pro Tag. Nicht nur einmal bin ich beim Lesen einfach eingeschlafen. Auch die Kinder lagen immer wieder mal Bett und schliefen einfach. Luxus pur!
Nichtsdestotrotz waren alle bereit nochmal gemeinsam zum Sonnenaufgang auf den Georgenberg zu laufen. Die Kinder begleiteten mich sogar zum 5.30 Uhr Gottesdienst am Ostersonntag, der mit großem Osterfeuer auf dem Markplatz und bei Kerzenschein in der Kirche etwas ganz besonderes für uns war.
Es schien, dass meine Besinnlichkeit etwas abfärbte 🙂
Ansonsten verbrachten wir an den Feiertagen auch Zeit mit meiner Mutter wie auch mit meinem Bruder und Familie, die zum Ostereiersuchen im Garten bei Sonnenschein vorbeikamen.
Von Heiko hörte ich des Öfteren: Ich bin so froh, dass ich von den ganzen Corona-Sachen gerade nichts lesen muss. Die teilweise sinnlosen Kommentaren sämtlicher WhatsApp-Gruppen fehlen mir gerade auch nicht wirklich.
Auch unsere 13-Jährige sagte: „Endlich habe ich mal Zeit an meinem Bild weiterzumalen“. Prinzipiell kann sie sich immer die Zeit dafür nehmen, doch jetzt wo es keine Ablenkung gibt, fällt es natürlich einfacher…. Hier das (Zwischen-)Ergebnis: Malen nach Zahlen für Fortgeschrittene. Sieht super aus, oder?
Am Ostermontag, also am letzten Tag unserer offline-Tage redeten wir darüber worüber wir uns am meisten freuen wenn wir unsere Handys wieder haben. Was wir alle gemeinsam hatten war die Vorfreude, wieder mit anderen einfach in Kontakt sein zu können. Zwar klingelte unser Festnetz ein paar Mal oder wir riefen aktiv bei jemandem an, doch natürlich ist das was anderes.
Die Kinder freuten sich auf ihre Serien, Spiele und Social Media und versuchten zu erfassen wie lange sie wohl brauchen werden, um alles „nachzuholen“.
Ich persönlich freute mich darüber, schon bald wieder „an die Arbeit gehen zu dürfen“ und mich mit Freunden, Bekannten, Interessenten, Kund*innen und Gleichgesinnten austauschen zu können. Schließlich ist meine Arbeit zum größten Teil einfach Online – und das ist auch gut so!
Fazit unserer DIGITAL DETOX – Tage
Wir vier sind dankbar für die Erfahrung und werden es mit Sicherheit wieder tun. Uns ist bewusst geworden, dass gerade unsere Handys viel mehr sind als nur ein Telefon. Sie sind Multifunktions-Tools, die wir als Telefon, Musikplayer, Banking-Tool, Uhr, Wettervorhersage, Spielkonsole, etc. nutzen.
Die Kinder und auch wir Erwachsene sind überrascht wie wenig man in vier Tagen verpasst. Wir alle haben es genossen, nicht dauernd dazu „gezwungen“ zu sein, aufs Handy zu schauen oder den neusten Tatort zu gucken. Prinzipiell „zwingt“ einen das Handy auch nicht dazu, doch wenn es da liegt, muss man eben immer wieder drauf schauen. Oder ist das bei dir anders?
Wir verliebten uns neu, in unsere alten CDs und fanden in Summe die gemeinsame Zeit ohne Ablenkung durch sämtliche Medien & Geräte echt schön.
Was wir alle „mitnehmen“ möchten, ist die Möglichkeit das Handy einfach auch unter der Woche mal auszumachen. Denn wenn das Handy tatsächlich AUS (nicht nur Flugmodus) und weggesperrt ist für eine gewisse Zeit (da reichen womöglich auch schon 1-2 Stunden), dann wirkt es tatsächlich befreiend und bereichernd.
In diesem Sinne, an alle die sich noch an Peter Lustig und „Löwenzahn“ erinnern. Die Serie endete immer mit:
„Also Leute, ihr wisst Bescheid: Abschalten, jetzt.“
Peter Lustig